25 Jahre Die Stiftung Forschung

Seltene Erkrankungen: Hoffnung auf die „Medizin von Morgen“!?

Foto: ELHKS/Andrea Katheder, v. l.: Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Prof. Dr. Christopher Baum, Michael Scholz, Prof. Dr. Martin Hildebrandt

Ein gelungener Auftakt: Eva Luise Köhler setzte in einer kurzen Ansprache mit einem einfachen Sprichwort einen zweifach bezeichnenden Grundton für das Stiftungsforum am 01.10.2024 (Tag der Stiftungen) zum Thema Seltene Erkrankungen einerseits und dem Zusammenwirken von Stiftungen andererseits:

„Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn du weit gehen willst, gehe mit anderen.” (Sprichwort)

Gemeinsam, also mit anderen, haben die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung und die Sparkassenstiftung Medizin das Stiftungsforum initiiert und mit hochkarätigen Gesprächspartner*innen im Max Liebermann Haus besetzt. Gemeinsam fördern die beiden Stiftungen das Junior Clinician Scientist for Rare Programm (JCS4R) der Forschungsinitiative Alliance4Rare. Damit unterstützen die beiden Stiftungen den Nachwuchs in der Erforschung seltener Erkrankungen. Die Förderung garantiert geschützte Forschungszeiten, in denen die jungen Ärztinnen, freigestellt von klinischen Aufgaben, ihre Forschungsprojekte vorantreiben können.

Es braucht im Durchschnitt 5 Jahre, bis Patient*innen mit einer seltenen Erkrankung eine zutreffende Diagnose erhalten (Webseite der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung). Aber warum dauert das solange?

Forschung ist oft kein schneller Prozess, sondern eine weite Strecke, die zurückgelegt werden will. Es sind verschiedene Akteur*innen involviert und vor allem auch in sich oft geschlossen finanzierte Forschungsphasen. Alles Faktoren, die Zeit kosten, bis ein Ergebnis in der Realität der Betroffenen einen Unterschied machen kann.

Es ist also ein weiter Weg, der Engagement, Vernetzung, Kapital, Wissen, Akzeptanz u.v.m. benötigt und daher nur gemeinsam funktionieren kann, wenn er zuende geführt und nicht auf halber Strecke (z.B. kurz vor der klinischen Studie) abgebrochen werden muss. Damit knüpft das o.g. Sprichwort direkt an ein Kernproblem moderner und ethischer Forschungsarbeit an, das an dem Abend aus unterschiedlichen Perspektiven partnerschaftlich wie auch kontrovers vorgestellt wurde. 

„Das größte Rätsel ist der Mensch. Unsere Gene zu erforschen, um Krankheiten zu vermeiden, ist für mich ein existenzielles Thema.“ (Heide Dürr)


Das deutsche Gesundheitssystem ist ein auf Volkskrankheiten ausgerichtetes System, d.h. es bezieht sich auf häufig auftretende Erkrankungen. Sowohl Diagnostik als auch Therapie werden in diesen Fällen in der Regel reibungslos und routiniert zur Verfügung gestellt und von den Krankenkassen übernommen. Die Betroffenen einer Seltenen Erkrankung hingegen werden „sobald etwas nicht stimmt“ mit einer völlig neuen Welt der Orientierungslosigkeit konfrontiert. Von der anfänglichen Bagatellisierung seitens der fachlichen Ansprechpartnerinnen bis hin zur Ratlosigkeit der begleitenden Ärztinnen – ein Kampf gegen einen oft unbekannten Gegner, mit ungewissem Ausgang und vor allem gegen die Zeit beginnt.


Aber was bedeutet das für die Gesellschaft und ihr Zusammenleben? Ist man einer von vielen, bekommt man Hilfe, ist man selten, bleibt man allein? Anders steht es im Grundgesetz, das vor 75 Jahren verabschiedet wurde:

 „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ (Artikel 2)

Oft ist die Genehmigung eines getesteten Therapieverfahrens eine ethische Frage, die durch eine Abwägung zwischen dem Nutzen für den Einzelnen und den Risiken für die Gesellschaft beantwortet werden kann. Manchmal können hier brückenbauende Argumente helfen, wie z.B. die Tatsache, dass der Schlüssel für eine erfolgreiche Therapie bei häufigen Erkrankungen (wie z.B. Leukämie, bei der heute 95% der Erkrankten überleben) oft in der Erforschung seltener Erkrankungen liegt. Die Entdeckung eines Einzelfalls ist oft der Wegbereiter für häufige Krankheiten und Therapien.

„Die seltenen sind eine Chance für die Häufigen.“ (Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung)

„Gemeinsam Zukunft schaffen — das ist unsere Verpflichtung. Das ist unser Versprechen.“ (Eva Luise und Horst Köhler Stiftung)

Foto: Eva Luise Köhler fotografiert von Andrea Katheder


Für Menschen mit persönlichen Erfahrungen und Lebensrealitäten steht hinter den Zahlen meist ein ganzes Familienschicksal. Michael Scholz, Vater einer Tochter, die im Alter von 5 Jahren an einer schweren, genetisch bedingten, neurodegenerativen Stoffwechselerkrankung erkrankt ist und Botschafter von ELA Deutschland e.V., schilderte den Teilnehmer*innen und auch den Gästen an diesem Abend eindrucksvoll, wie der Alltag einer Familie aussieht, in deren Mitte sich plötzlich eine seltene Erkrankung eingeschlichen hat. Michael Scholz skizzierte, wie sich die Realität einer Familie verändert und womit sie konfrontiert ist, bis eine Diagnose vorliegt, bis eine Therapie möglich ist, bis die nächste Überraschung kommt. Scholz sprach in diesem Zusammenhang von der Hoffnungskraft der Innovation, die Eltern, Kinder und Geschwister tragen kann.

„Was heute unmöglich scheint, kann morgen Realität sein.“ (Michael Scholz)

Was aber, wenn Therapien vorhanden oder in greifbarer Nähe sind, aber ethische Abwägungen dazu führen, dass lebensverlängernde Zell- und/oder Gentherapien nicht durchgeführt werden? Was für den einzelnen Betroffenen vermutlich schwer nachvollziehbar ist, sind die Überlegungen, die die Ethikkommission im Auftrag der Bundesregierung anstellen muss. Prof. Dr. Martin Hildebrandt, Vorsitzender der Berliner Ethikkommission, gab einen kurzen Einblick in die Schwierigkeit, eine Konvergenz zwischen Individuum und Gesellschaft herzustellen. Aufgrund des gewalttätigen Missbrauchs der Forschung, wie er im 3. Reich stattgefunden habe, neige die Ethikkommission eher zur Vorsicht, wo andere Länder schneller „springen“. Damit, so Prof. Dr. Martin Hildebrandt, sei die Ethikfrage oft die Innovationsbremse. Auf dem Podium wurde deutlich, dass dieses Zögern nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für den Forschungsstandort Deutschland nicht unerhebliche Folgen hat.

„Bei welcher Indikation sollen wir springen?“ (Prof. Dr. Martin Hildebrandt)

Neben der beratenden Funktion des Ethikrates gegenüber der Bundesregierung hat dieser auch die schnelle und effektive Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen im Blick. Leider konnte Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft und Gesundheit, kurzfristig nicht an der Veranstaltung teilnehmen, so dass Prof. Dr. Christopher Baum, Berlin Institute of Health at Charité, die Fragen nach einer nationalen Umsetzungsplanung und wie Forschungsförderung den Standort Deutschland stärken kann, beantwortete.

Im Sommer 2024 übergab das Institute of Health at Charité (BIH) die Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien an das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das diese 2022 in Auftrag gegeben hatte. Rund 150 Expertinnen haben hier gemeinsam einen Fahrplan zur Verbesserung der Patient*innenversorgung und zur Stärkung Deutschlands als Standort für gen- und zellbasierte Therapien entwickelt. Die Nationale Strategie zeichnet sich dabei insbesondere durch ihre Entwicklung im Multi-Stakeholder-Ansatz aus, der Perspektiven aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Patient*innen einbezieht.

„Es geht darum, fokussierte Netzwerke zu bilden und diese systematisch zu fördern und nicht zufällig zusammenzuführen. Wissensmanagement ist ein entscheidender Faktor bei der Brückenbildung zwischen Akademie und Industrie.“ (Prof. Dr. Christopher Baum, Berlin Institute of Health at Charité)

35 Prozent der Stiftungsmittel der Heinz und Heide Dürr Stiftung fließen in den Förderzweck Wissenschaft und Forschung, mit dem sich die Stiftung unter anderem dafür einsetzt, dass genetisch bedingte seltene Erkrankungen erforscht und Therapieansätze gefunden werden. Da neben der Forschungsarbeit auch die Aufklärung in der Gesellschaft und privaten Geldgeber*innen von großer Bedeutung ist, unterstützen wir mit unseren Förderungen auch andere Stiftungen wie z.B. die NCL-Stiftung dabei, mehr Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für ihre Stiftungsprojekte im Forschungsbereich zu erzielen.