Kultur

3 aus 212 Theaterstücke – Autor:innentheatertage 2021

Im Zeichen von Veränderung und Neubeginn gingen die vier Festivaltage der Autor:innentheatertage am Deutschen Theater zu Ende. Vier Festivaltage, in denen Autor:innen im Mittelpunkt standen, die „Fragen an die Welt“ hatten und zum Nachdenken „über ein danach“ anregten.

Neue Herausforderungen brauchen neue Wege.

Mit diesem Motto stellte das Deutsche Theater sein neues Residenzprogramm vor, das ab September mit fünf Hausautor:innen wechselnde Texte vorstellt. Mit im Petto gab es Autor:innenateliers, eine langen Lesenacht und ein Dramaturginnentreffen. Doch die Herzstücke des Festivals sind und bleiben die drei Uraufführungen der Sieger:innen der Wettbewerbseinsendungen.

Warum Autor:innen schreiben? – Weil sie Fragen haben!

Und nicht nur die drei Sieger:innen hatten Fragen, insgesamt gingen 212 Stücke in den Wettbewerb, die alle auf ihre Art anders und einzigartig waren. Sie sind Ausdruck ihrer persönlichen Fragen und Erfahrungen, die sie in ihren Texten verarbeiten. Die Auswahl für die Jury war schwer, denn alle Einsendungen waren „ernst gemeint“ und stellten „Fragen an die Welt“.

“Wer Theater macht, befragt sich. Befragt sich selbst.” Lukas Bärfuss, Jury-Vorsitzender und Dramaturg.


So definierte Jury-Vorsitzender und Theaterdramaturg in seiner ausdrucksstarken Eröffnungsrede der diesjährigen Autor:innentheatertage. Ein gelungener Auftakt, um die Zuschauer:innen die Bedeutung des Schreibens für das Theater nahe zu bringen und sich seiner/ihrer Rolle als aktive Teil des Theaters bewusst zu werden. Denn nicht nur das geschriebene Wort macht das Theater aus, sondern wir alle sind daran beteiligt, so die Botschaft der Jury, die aus Lukas Bärfuss, Fritzi Haberlandt und Schorsch Kamerun bestand.

Drei Stücke, drei Lebenswelten, drei Realitäten im Digitalen Zeitalter.

Im Zentrum dieser Realitäten stand die mediale Erfahrung mit Bild und Video. Was lösen Bilder in uns aus? Was bringen sie ans Licht, die Wahrheit oder was wir glauben, wahr zu sein? Was sagen sie über uns aus? Alle drei Stücke waren ein Zusammenspiel von ausdrucksstarken und lebhaften Charakteren, die bunten und zugleich starren Bühnenbilder in grellem Lichtspiel und aufgedrehten, lauten Soundtrack waren ein Spiegel der medialen Welt aus oberflächlich wirkenden Bildern, die erst bei genauerem Hinsehen ihre Tiefen und Abgründe preisgibt. Ob wir dabei die Wahrheit betrachten, kann nur jede:r für sich selbst entscheiden.

Ich, Wunderwerk und How Much I Love Disturbing Content.

Eine der drei Siegertexte von Amanda Lasker-Berlin greift die Frage nach Wahrheit auf, die scheinbar eindeutig in Bildern veranschaulicht wird und doch nicht immer so eindeutig erscheint. Zunächst noch harmlos und komödiantisch zeigen sich die drei Hauptdarsteller:innen in „Power Rangers“-Comic-Kostümen. Sie schwelgen in Erinnerungen an das Weihnachtsfest im Dorf ihrer Kindheit, betrachten den Sepia Film vom Weihnachtsfest in den 1990er Jahren. Doch auch diese Bilder bergen Geheimnisse. Nichts von dem Gezeigten, ist so wie es scheint. Nach und nach kommen Gefühle der Protagonist:innen beim Betrachten der Bilder hoch. Gewaltvolle und schmerzende Erinnerungen ausgelöst durch einfache Bilder. Im Laufe des Stückes werden weitere Bilder und Videos gezeigt, die sich zunehmend in ein Panorama von Macht und Gewalt hineinsteigern: Videos von Polizisten-Morden in Guadalajara werden gezeigt. Bilder von Polizeigewalt in Oklahoma City und dem „I can´t breathe“-Drama um Derrick Scott und George Floyd werden zitiert und eine vierte Protagonistin erinnert sich an ihrer Heimatstadt Gladbeck, das 1988 von einer Geiselnahme und gleichzeitigen medialen Hetzjagd einer Journalist:innen-Meute erschüttert wurde. Eindrücklich und provozierend bringt die Regisseurin Claudia Bossard diese verschiedenen medialen Welten zusammen und spielt mit den persönlichen Eindrücken des Gesehenen. Der Text von Autorin Amanda Lasker-Berlin und die Inszenierung von Claudia Bossard bringen die Zuschauerinnen dazu, nicht nur Bilder und Wahrheiten zu hinterfragen, sondern sich den aufkommenden Gefühlen zu stellen. Die Inszenierung entstand in Kooperation mit dem Schauspielhaus Graz, wo es weiterhin aufgeführt wird.

When There’s Nothing Left To Burn You Have To Set Yourself On Fire.

Chris Michalskis Siegertext wurde bereits im Juni als Open-Air-Projekt aufgeführt und prangert die Konsumgier und mediale (Selbst-) Inszenierung der jetzigen Gesellschaft an. Unter der Regie von Tom Kühnle entstand eine Satire, die jene gesellschaftliche Verdrängungskultur in der Welt von Social Media, Influencer-Kult, Live-Videos zum Vorschein bringt.
Das Stück erzählt die Geschichte von Influencerin Petra, die in ihrem Vlog (Video-Blog) die Gründe für Jan L.‘s Tod sucht, der sich in einem Einkaufszentrum selbst anzündet. Sie spricht mit Menschen aus dem Umfeld des ehemaligen Bundeswehrsoldaten, der in Afghanistan stationiert war. Seine Familie, seine Ex-Frau, seine ehemaligen Kamerad:innen und Nachbar:innen – eine kapitalistische Gesellschaft aus Arbeitskräften und Konsument:innen, für die sich niemand interessiert und die sich für niemanden interessieren. Schnell entpuppt sich die journalistische Recherche zu einer oberflächlichen Reportage, die so an das ein oder andere Boulevardblatt erinnern. Ein Stück, das aufwühlt und zum Nachdenken über die eigene Rolle in der konsumorientierten und selbstdarstellenden Welt anregt. Das Stück wurde in den Spielplan des Deutschen Theaters aufgenommen.

White Passing.

Im dritten Siegertext von Sarah Kilter nimmt die Autorin uns auf eine Reise durch die Berliner Bezirke Charlottenburg und Wedding und greift dabei alle Klischees einer vermeintlich liberalen und sich kosmopolitisch gebenden Gesellschaft auf. Ihre Hauptfigur ist die Ich-Erzählerin ohne Namen, die auf ihrer Identitätssuche Fragen an sich selbst und ihren Freundeskreis stellt. Sie sucht ihren Platz in der Gesellschaft, die für sie scheinbar aus zwei überlappenden Welten besteht – die der gutbürgerlichen Mehrheitsgesellschaft, die in Altbauwohnungen am Savignyplatz lebt und dem zunehmend gentrifizierten Wedding, in dem sie ihre „migrantische Zweitexistenz“ verordnet. Unterhaltsam und voller Selbstironie schreibt Sarah Kilter über das Problem von Zuschreibungen, dem Verhältnis von Bildern und Klischees rund um die deutsche Gesellschaft. Die Regisseurin Thirza Bruncken inszenierte das Stück mit piepsigen Stimmen-Gewirr und kurzen tänzerischen Einlagen, die zu Beginn amüsant und lebendig wirkten, doch zum Schluss schnell anstrengend und nervenaufreibend wurden. Wer die Geschichte selbst erleben möchte, kann sich die Inszenierung im Schauspielhaus Leipzig ansehen.

Fazit – Veränderung als Chance zum Wiederbeginn.

Um es mit Lukas Bärfuss Worten zu sagen, verband die drei Stücke die Tatsache, dass sie jetzt in dieser Welt sind! – Und sie bringen Veränderungen mit sich! Veränderungen, die ganz persönlich von uns selbst ins Gute oder Böse umgewandelt werden können. Zugleich geben die Texte Impulse, für den/die Zuschauer:in, Mut zu schöpfen, sich Gefühlen zu stellen und das eigene Verhalten immer wieder auf neue zu überprüfen.

Wir freuen uns auf das Jubiläumsfestival im Juni 2022, ein berauschendes Fest im besonderen Format: Ein Stückewettbewerb und ein Uraufführungsmarathon in der Langen Nacht der Autor:innen. Auf bis zu zwölf Gastspielen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, mit Autor:innensalons, Leseparcours, Nach- und Tischgesprächen, mit vielen Autor:innen, Juror:innen und Theatermacher:innen aus 25 Jahren Autor:innentheatertagen.

Ein inspirierendes Festival, das die lange Corona-Theaterpause wieder vergessen lässt!

Fotos: © Julian Marbach, Deutsches Theater.

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(Autorin: Valerie Pagel)