Allgemein Kultur

Besuch beim Theaterdiscounter…

Noch kurz vor knapp und um Haaresbreite vor dem zweiten Lock-Down, der erneut die Schließung von Kultureinrichtungen vorsieht, hat Annett Schpeniuk, theaterinteressierte Berlinerin, für uns das Stück “Mass für Mass” am Theaterdiscounter besucht. Hier teilt sie mit uns ihre Eindrücke zum und vom Stück:

“Ich lebe schon lange in Berlin, doch den Theaterdiscounter kannte ich bisher nicht. 

Umso mehr freute ich mich, für die Heinz und Heide Dürr Stiftung eine Vorstellung besuchen zu dürfen, um diese Lücke zu schließen. Ganz nah am Roten Rathaus im alten Funkmeldeamt präsentiert sich die Spielstätte rein äußerlich ziemlich ostalgisch. Das gute alte Linoleum sowie die originalen Farben an den Türen fehlen nicht. Die Zeit scheint um Jahre zurückgedreht. 

Doch dieser Eindruck schwindet schnell, wenn man in den Vorstellungsraum tritt. Mit Blick auf die schlichte, aber offene Ausstattung der Bühne warte ich gespannt auf den Beginn. Gemütlich sitzen die meisten in der verordneten Zweiergruppe gut verteilt im Zuschauerraum. Das Hygienekonzept wird sinnvoll eingehalten. Ich bin gespannt wie Theater mit Abstandsregel funktioniert. 

Freie Theater haben es auch in Berlin schwer, doch sie dürfen, können und sollten daher auch politisch sein. „Mass für Mass“ ist ein hoch aktuelles politisches Theaterstück, dass sich an William Shakespeares berühmtem Stück orientiert.  

Das richtige Maß scheint schon lange Gegenstand von Überlegungen zu sein, denn schon in der Bibel finden wir dazu Ausführungen: „Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?…“ 

Das Stück legt offen, dass die Demokratie kränkelt und ein Ruck nach rechts durch die Bevölkerung zieht. Mir fällt besonders positiv auf, dass ich weder den erhobenen Zeigefinger noch Ratschläge oder kluge Ideen gezeigt bekomme. Das Stück gibt die Aufgabe an den Besucher ab und stellt Fragen, sehr wichtige Fragen wie: 

„Was ist das richtige Maß an Sicherheit, Freiheit, Akzeptanz und Toleranz?“ 

„Ist es tolerabel dem Untergang von Weitem zuzuschauen? Oder dürfen wir erwarten dass Gesicht gezeigt wird?“ 

„Wie weit darf man gehen, wenn Worte nicht helfen?“ 

„Wie entsteht öffentliche Meinung“ 

„Dürfen Frauen „ihre“ Waffen einsetzen?“ 

„Heiligt der Zweck die Mittel?“ 

Fragen, denen sich gerade jetzt jeder stellen sollte, denn die individuelle Beantwortung und deren Umsetzung zeichnen das Bild unserer Gesellschaft. Daran dürfen uns Kultur und Bildung gerne immer wieder erinnern.  

Ein Dank an die Heinz und Heide Dürr Stiftung, dass sie solche Projekte unterstützt.  

Die Zeit vergeht schnell und das Ende kommt dann doch irgendwie überraschend. Die Schauspieler spielen durchgehend ambitioniert. 

Mit einem faden Gefühl ich Bauch verlasse ich dieses unkonventionelle Stück. Jeder hat bekommen, was er wollte und doch ist niemand glücklich. Es bleibt der Gedanke: „Ist ja gerade noch mal gut gegangen“ 

Ich freue mich auf weitere interessante Interpretationen. “

Fotos: mit freundlicher Unterstützung vom Theaterdiscounter und Annett Schpeniuk