Allgemein Der (etwas) andere Advent 2020

3. Advent: “Theaterfieber”, von Judith Rosmair

13.12.2020, 3. Advent

In der Theaterlandschaft herrscht seit Frühjahr Ausnahmezustand! Publikum und Künstler*innen sind auf Abstand, und da hilft auch die Kreativität in Sachen Digitalisierung wenig, um diese Entfernung zu überbrücken. Doch wie geht es den Künstler*innen ohne ihr Publikum und die Kunst wirklich? Schauspielerin Judith Rosmair gewährt uns einen Blick hinter den Vorhang…

Theaterfieber

Zwanzig Jahre lang war ich in festen Theater-Ensembles engagiert.
Am Bochumer Schauspielhaus, am Thalia Theater Hamburg und an der Schaubühne Berlin. Wir spielten fast täglich, da kamen schon mal über 300 Vorstellungen im Jahr zusammen.

Ich arbeitete an 6 bis 7 neuen Stücken pro Spielzeit, manchmal hatte ich 1 Premiere pro Monat. Ich spielte mit Fieber („Nimm mal 2 x 800er Ibu, dann geht die Temperatur runter…“), mit Halsentzündung und komplett heiser („Ach, wir kleben Dir einfach ein Mikroport, dann kannst Du ganz leise sprechen…“), mit Ohren-, Nebenhöhlen-, und eitriger Augenentzündung („Du könntest doch eine Taucherbrille aufsetzen?“), spielte nach einem Sturz mit Blutergüssen an beiden Knien die Premiere, spielte mit geplatztem Trommelfell (Bühnenohrfeige), Zahnweh und Nervenzusammenbruch, und wenn ich mal glaubte, ich schaff’ das nicht, hieß es: „Wir sind ausverkauft, das sind mindestens 20.000 Euro Einnahmen, die wir da verlieren würden!“

Ich vertrat regelmäßig kranke KollegInnen („Du lernst die Rolle doch auswendig bis morgen Abend, oder?“), ich probte und spielte an Ostern, Pfingsten, an den Weihnachtsfeiertagen und an Silvester, ich arbeitete natürlich am 1.Mai — nur der Weihnachtsabend blieb heilig.

Dann wurde ich Freiberuflerin und wollte erst recht nichts mehr absagen, ich spielte („lieber halb lebendig, als halb tot“) auch Stücke, die ich selbst geschrieben und produziert hatte, da lag die ganze Verantwortung bei mir, da musste der Lappen hoch.

In den Wintermonaten schallte aus dem Zuschauerraum der berüchtigte “Theaterhusten”. Das war ein Gekeuche, Geschniefe und Gebelle, was das Zeug hielt, man wähnte sich oft eher im HNO-Wartezimmer, denn im Theater.

Damals war mein Traum vom Glück: Ein Publikum, das nicht hustet.
Jetzt vermisse ich das alles, die Bühne ist dunkel, der Saal ist leer, kein Laut ist zu hören, der Lappen bleibt unten, doch mein Theaterfieber steigt.

Mehr zu Judith Rosmair im Interview mit Irene Bazinger

Advents-Ausblick: 
19.12.2020: Der (etwas) andere Advent in der Forschung, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Tinnitus und Hören Charité Dr. Kurt Anschütz