... ganzheitliche Bildung, die Verbindung von Kopf, Hand und Herz. Kinder erfahren die Welt über das Tun. Sie können Dinge nicht nur kognitiv über Vermittlung oder Programme erfahren, sie müssen Gelegenheit erhalten, etwas selbsttätig zu tun.
J.H. Pestalozzi

Impulsgespräch: Andreas Reith
Andreas Reith ist Dipl.-Soz.Arb./Soz.Päd. und seit 2015 bei der Heinz und Heide Dürr Stiftung für die Koordination und Fachberatung des Early Excellence-Ansatzes in der Region Nordwest zuständig. In diesem Rahmen – und oft auch darüber hinaus – leitet und/oder veranstaltet er Early Excellence-Weiterbildungen für Fachkräfte und Leitungen, hat den Weiterbildungsrat Early Excellence mitgegründet und vernetzt Einrichtungen und Träger untereinander.
HHD Stiftung: Wie bist du mit Early Excellence in Berührung gekommen und was bedeutet dieser Ansatz für dich?
Andreas Reith: Um auf die Fragen dieses Gespräch angemessen antworten zu können, habe ich mich dazu entschlossen, die Personen miteinzubeziehen, an denen ich mich orientiere, wenn ich als „Early Excellencer“ unterwegs bin. Das sind unter anderem: M. Whalley, J. Burdorf-Schulze, I. Baumgarten, J. H. Pestalozzi, A. Wallner-Dietrich, Prof. Dr. S. Hebenstreit-Müller und Prof. Dr. T. Betz.
Bei der Einweihung des Familienzentrums St. Maximilian Kolbe im Jahr 2006 hörte ich zum ersten Mal den Satz: „Eltern sind die ersten Erzieher*innen und Expert*innen ihrer Kinder.“ Eltern sollen transparent über die Inhalte der Pädagogik informiert und beteiligt werden. Im Jahr 2010 hatte ich auf der Fachtagung: Von der Kita zum Familienzentrum im legendären „Hannoveraner Expowal“ das große Vergnügen, Dr. Margy Whalley live im Vortrag hören zu dürfen. Sie sprach über die Öffnung der Einrichtung in den Sozialraum, über Kooperation und Vernetzung sowie über das politische Engagement als „Anwalt für die Familien“. Spätestens da hatte mich der Early Excellence-Ansatz gepackt.
Early Excellence steht in erster Linie für eine positive Grundhaltung in der Begegnung mit allen Menschen. In zweiter Linie geht es darum, zu erkennen, dass sich erst durch kontinuierliche Selbstreflexion professionelles Handeln entwickelt. In dritter Linie geht es darum, die Ressourcen und Motivation des Einzelnen (Kind, Eltern, Mitarbeiter*in, Kollege*in) transparent zu machen und zu fördern. Für mich ist Early Excellence kein fertiges Konzept. So beeinflussen und verändern gesellschaftspolitische Herausforderungen die Weiterentwicklung, der wir uns praktisch, theoretisch und konzeptionell immer wieder stellen dürfen. Persönlich entsteht Weiterentwicklung für mich immer dann, wenn Menschen Visionen haben, entwickeln oder direkt an deren Verwirklichung arbeiten.
Im Early Excellence-Ansatz ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung implementiert, sie wird gefördert und ist gefordert. So hat mich die Frage der Moderatorin Karen Fuhrmann vom Early Excellence-Fachkongress am 21.03.2013: „Wie verbreitet wird Early Excellence im Jahr 2030 sein?” und insbesondere die Antwort von Isa Baumgarten (Vorstandsvorsitzende der Heinz und Heide Dürr Stiftung) sehr inspiriert: „Da muss ich schnell nachrechnen, weil wir in den letzten Jahren wahnsinnig schnell gewachsen sind. Ich würde sagen, 2030 werden es ungefähr 30.000 Einrichtungen und 50.000 Multiplikator*innen sein. Die Politiker*innen werden nur noch von Early Excellence reden.“
HHD Stiftung: Was ist deiner Meinung nach das Alleinstellungsmerkmal von Early Excellence?
Andreas Reith: Für mich bilden die drei Säulen und die pädagogischen Strategien des Early Excellence-Ansatzes die Grundlage und damit das Alleinstellungsmerkmal. In Bezug auf die pädagogische Arbeit mit Kindern bedeutet das: Das Kind steht im Zentrum, die Stärken werden erkannt, dem Kind wird Vertrauen in die intrinsische Motivation geschenkt und der dem Kind eigene Konstruktivismus, also wie es seine Welt entdeckt, das wird gefördert. Das ist für mich Early Excellence.
HHD Stiftung: Mittlerweile bist du als Early Excellence-Koordinator und Fachberater in der Region Nordwest tätig und bildest Fach- und Leitungskräfte im Early Excellence-Ansatz weiter. Wie kam es dazu und wie wichtig sind dir diese Angebote?
Andreas Reith: Im Jahr 2015 habe ich die Stelle der Fachberatung für das Programm der Familienzentren der Landeshauptstadt Hannover angetreten. Meine Aufgaben umfassen die Netzwerkarbeit und Koordination der Early Excellence-Einrichtungen für die Region Nord-West. Diese Kooperation wird bis heute von der Heinz und Heide Dürr Stiftung gefördert.
In Bezug auf den Bereich der Fort- und Weiterbildungen sowie die pädagogischen Fachkräfte ist für mich das Wissen und die Fähigkeit, dass Selbstreflexion die Grundlage für die Begleitung in der frühkindlichen Bildung ist, die Basis in den unterschiedlichen Fort- und Weiterbildungsformaten. Prof. Dr. T. Betz sagte dazu: „Das Early Excellence-Modell zielt stark auf Weiterqualifizierung und Weiterbildung ab. Es fällt sehr vielen Studierenden schwer, sich erst einmal mit sich selbst zu beschäftigen und sich die Frage zu stellen: ‚Was hat meine eigene Biografie, zum Beispiel mein schulischer Erfolg oder Misserfolg, mit meiner heutigen Arbeit mit Kindern aus unterschiedlichen sozialen Gruppen zu tun?‘ Aus der Ungleichheitstheorie muss man sagen, dass das auf engste Weise miteinander zu tun hat.“
In Bezug auf die Netzwerkwerkarbeit ist der Leitsatz für die Zusammenarbeit in einem Familienzentrum, dass die Dienste und Angebote einer Early Excellence-Einrichtung von den Familien und den pädagogischen Fachkräften nicht als Konkurrenz, sondern zur Stärkung von Potenzialen und Ressourcen für alle Beteiligten verstanden werden. Jedes Familienzentrum bzw. jede Early Excellence-Einrichtung ist einzigartig. Prof. Dr. S. Hebenstreit-Müller fasst das wie folgt zusammen: „Early Excellence ist kein fertiges Modell, das man einfach kopieren könnte. Vielmehr muss Early Excellence immer wieder neu vor Ort entwickelt werden.“
In Bezug auf Leitungen ist besonders, dass die Leitung einer Early Excellence-Einrichtung Vorbild ist, Orientierung gibt und den Kreislauf der Reflexionsprozesse ihrer pädagogischen Mitarbeiter*innen steuert. Die pädagogischen Fachkräfte werden beteiligt, erhalten Verantwortung und können mitgestalten und mit verändern. Auf dieser Grundlage habe ich ein Familienzentrum geleitet. Meine Kollegin A. Wallner Dietrich sagte einmal dazu: „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Leitung den Mitarbeiter*innen Verantwortung überträgt und ihnen Vertrauen schenkt. Als Leitung muss ich zum Ausdruck bringen, dass ich davon ausgehe und darauf vertraue, dass alle Teammitglieder gemeinsam mit der Leitung das Beste für die Kita anstreben. Ein zweiter sehr wichtiger Punkt neben Mitarbeiter*innenpflege und Teamentwicklung ist das Mitarbeiter*innengespräch. Mein Fokus liegt dabei nicht auf der Zielformulierung für die Kita, sondern darauf, gemeinsam mit der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter herauszufinden, welche berufliche Weiterentwicklung sie bzw. er für sich sieht. Wo möchte sie ihren fachlichen Schwerpunkt setzen? Welche berufsbegleitenden Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es für sie und wie kann sie ihr neues Wissen in der Kita einbringen und umsetzen?“
In Bezug auf die Zusammenarbeit mit Familien ist es besonders wichtig, dass es – wie J. Burdorf-Schulze sagte – um das Verständnis einer dialogischen Grundhaltung geht. Im gleichberechtigten Dialog entsteht eine Atmosphäre, die offene Begegnungen und die Entwicklung von Beziehungen unterstützt. Dabei ist es Aufgabe der Pädagogen, die Eltern in ihrer eigenen Entwicklung und in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken. Die Würdigung von Stärken motiviert Menschen, sich mit ihren Problemen konstruktiv auseinanderzusetzen. M. Whalley sagte dazu: „Eltern sind nicht das Problem, sondern die Lösung“ und „nach meiner festen Überzeugung gibt es nichts, das den Menschen mehr und dauerhafter unter die Haut geht, als wenn sie über das Verhalten ihres eigenen Kindes aufgeklärt werden“.
Daraus ergeben sich die Aufgaben der pädagogischen Fachkräfte in einer Early Excellence-Einrichtung für die Zusammenarbeit mit Familien.
All diese Inhalte fließen in die Early Excellence-Weiterqualifizierungen ein. Sie tragen dazu bei, dass die Kursteilnehmer*innen sich ihrer eigenen Haltung bewusst werden und sich als Person mit ihren Kompetenzen weiterentwickeln können.
Vielen Dank für das Gespräch.