La Deutsche Vita ist ein semi-dokumentarisches Theaterprojekt, in dem die fiktive Figur Nora Brenner (eine individualistische Architektin mit latent ungesundem Hang zur Selbstbespiegelung) auf den real existierenden Arbeiter- und Veteranenchor Neukölln trifft. Da stehen plötzlich echte Menschen auf der Bühne: Frauen, die ein politisches Leben hinter sich haben, die in Gewerkschaften, der SPD und der sozialistischen Einheitspartei Westberlin – ja: Westberlin! – gekämpft haben. Sie singen von Solidarität. Von Heimat. Von Arbeit. Und Zukunft. Also von allem, was so einem Millenial einen gehörigen Schreck einjagen kann. Was sind das für Begriffe? Was bedeuten sie uns? Wen schließen sie aus, wen ein? Und was können wir von alten Arbeiterliedern über die Zukunft lernen?
Diese Begegnung von Text und Gesang ist auch eine Begegnung von sozialistischen Utopien und Neoliberalismus, Kollektiv und Individuum, Nostalgie und Zukunftsangst, irgendwo zwischen Lichtenberg und dem Lido di Jesolo.
Sie spiegelt auch die Begegnung wieder, die die junge Autorin Hannah Schopf mit dem Chor gesucht hat. Sie bringt die Ergebnisse ihrer Recherche in ihrem Regiedebüt auf die Bühne des Heimathafen Neukölln.
La Deutsche Vita wurde am 22. Februar 2019 im Heimathafen Neukölln in Berlin uraufgeführt. Isa Baumgarten, Vorstandsvorsitzende der Heinz und Heide Dürr Stiftung, beschreibt, worum es bei der Inszenierung geht:
"Wie definiert sich der Begriff Heimat in Zeiten der Globalisierung? Wo fühlt man sich eigentlich noch zu Hause, wenn sich Arbeitsbedingungen ändern, wenn die Ära der Co-Working-Spaces eingeläutet ist, wenn immer mehr Menschen Projekte mit ihren Notebooks in Cafés entwickeln, die sich überall auf der Welt irgendwie ähneln? Bedeutete Arbeit früher, auch wenn sie fremdbestimmt war, vielleicht nicht trotzdem Gemeinschaft, während neue Formen der selbstbestimmten Arbeit doch eher zur Vereinsamung führen? Diesen Fragen geht das Stück „La Deutsche Vita“ von der Autorin Hannah Schopf nach, und dies im Austausch mit dem Arbeiter- und Veteranenchor Neukölln.
Der ist das kollektive Gewissen, an dem sich eine freischaffende Architektin abarbeitet, die keine Orte kennt, doch solche schaffen soll und daran scheitert, dass - egal ob im Kapitalismus oder im Kommunismus, egal ob in Berlin Marzahn oder an einem anderen Ende der Welt - alles schnell und möglichst günstig gehen muss. Dann sieht alles irgendwann auch gleich aus. Ihr Kreativitätsraum ist eigentlich ein Campingplatz in Italien, wo lauter Deutsche sind, die ihre rollenden Reihenhäuser mitgebracht haben. La Deutsche Vita ist überall und doch nicht zu Hause.
Auf einer abgestuften Bühne sitzt der Chor inmitten von Erhebungen, die mit Plastikfolien abgedeckt sind und vom Menschen gestaltete Gebäudesilhouetten oder von der Natur geformte Landschaften sein könnten. Neun Frauen singen – begleitet vom Piano und einem DJ - alte und neue Arbeiterlieder aus Ost und West:
Unsre Heimat,
das sind nicht nur die Städte und Dörfer.
Unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald, unsre Heimat
ist das Gras auf der Wiese, das Korn auf dem Feld und die Vögel
in der Luft und die Tiere der Erde.
Und die Fische im Fluß sind die Heimat.
Und wir lieben die Heimat, die schöne…
Über eine Webkamera ist auf einer Videowand ein Zimmer eingeblendet. Dort sitzt mal der Hausmeister, mal der Lebensabschnitts-Hausmann, der alles beobachtet, kommentiert und kontrolliert. Wenn er von der Leinwand verschwindet mischt er sich ganz Menschgeworden real in das Geschehen auf der Bühne ein, sprüht Nebel, räumt auf, bringt seiner Lebensabschnittgefährtin selbstgeschmierte Brote und trennt sich von ihr, da Frau und Beruf für ihn nicht so recht zusammengehen wollen. Die Inkarnation des schlechten Gewissens schmeißt sich selbst raus.
Horror ist, wenn Deutsche im Takt klatschen, wenn Wandergruppen aus Neukölln im Publikum sitzen. Spaß und Freude macht das allemal, auch wenn das Vorhaben der Architektin, einen kollektiven Ort mit Mischbebauung aufzubauen, von der gängigen Planungswirklichkeit überrollt wird. Am Ende bleibt ihr nur die Flucht in die Arme des kollektiven Chors, der leider keine Zugabe gibt."