In ihrem Stück ToFuR® - Theater ohne Furcht und Reichweite - ziehen Vanessa Stern und ihre glorreichen Ritterinnen gemeinsam in den Kampf gegen die dunklen Mächte von Reichweite und Aufmerksamkeit. Ein Stück über die Tücken der digitalen Blase und die Suche nach analogen Spielräumen. Wir sprachen mit Autorin und Schauspielerin Vanessa Stern über soziale Medien, Digitalisierung und über deren Auswirkungen. 

1.Vanessa Stern, wie kamen Sie auf die Idee, die sozialen Medien und Digitalisierung ins Zentrum Ihres Stücks zu stellen?

Vanessa Stern: "Eine ganze Reihe von Erlebnissen und Erfahrungen führten zur Entscheidung, mich über mehrere Monate mit dem Themenkomplex zu beschäftigen und dazu Anträge zu stellen. Zunächst hatte die Pandemie den Effekt, dass noch mehr als vorher alles nach „Erlösung durch Digitalisierung“ rief. Als Theaterschaffende und gleichzeitig vom Homeschooling betroffene Mutter hat mich das aus unterschiedlichen Gründen sehr angestrengt. Im Herbst 2021 wurde ich dann eingeladen, einen Workshop mit Jugendlichen am Deutschen Theater zu geben. Hier stellte sich die praktische Frage, wie ich mit der Handynutzung der Beteiligten umgehen sollte, da ich wusste, wieviel Konzentration, Aufmerksamkeit und Kreativität die permanente Anwesenheit dieser kleinen Bildschirme kostet. Weil ich keine Lust hatte, autoritär disziplinierend in die einzugreifen, hatte ich mich entschieden, in die Offensive zu gehen und einen Workshop anzubieten, der den schlichten Titel trug: „Zusammen abhängen ohne Handy“ und sich dann auch mit Themen der Digitalisierung auseinandersetzte. Die inhaltliche Beschäftigung mit diesem Thema hat mich dann nicht mehr losgelassen.

Als mein 9-jähriger Sohn mich fragte, warum ich denn, wenn ich den sogenannten sozialen Medien so kritisch gegenüberstehe, immer noch ein Facebook- und Instagram-Profil habe, habe ich ihm ganz ehrlich geantwortet, dass ich als Theaterschaffende in der freien Szene keine andere Wahl habe und auf dieses dort gegebene Reichweitenversprechen nicht verzichten kann. Diese desillusionierende Selbstauskunft hat mich herausgefordert, sie in Frage zu stellen und Geld für ein Theaterexperiment zu beantragen, bei dem ich (und auch das Theater) völlig auf Bewerbung in den sozialen Medien verzichte. Mit der Zusage des Fonds Darstellende Künste, der Sophiensaele und auch der Heinz und Heide Dürr Stiftung war dann Theater ohne Furcht und Reichweite geboren."

2.Die Perspektive der Frauen* nimmt einen großen Stellenwert in Ihrem Stück ein. Haben soziale Medien einen anderen Einfluss auf Frauen und braucht es deshalb eine „Kampfansage“ gegen die Sozialen Medien?

Vanessa Stern: "Die Frage kann ich so pauschal nicht beantworten, ich bin keine Soziologin. Ich mache Theater mit einer 100prozentigen Frauenquote, seit mir als Schauspielerin am Stadttheater die Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern in der Verteilung von Rollen, Texten, Gagen und auch in Bereichen der Komik aufgefallen ist, und ich diese am eigenen Leib erfahren habe.

Bekannt ist, dass Plattformen wie Instagram bei jungen Mädchen vermehrt zu Essstörungen und Depressionen führen. Das Frauen(körper)bild, das in diesen Netzwerken bevorzugt dargestellt und propagiert wird, ist keines, das ich mir für irgendeine Frau wünsche. Wir sind in der Recherche zu unserem Stück zum Beispiel auch auf das Phänomen des „#Stayathomegirlfriends“ gestoßen; das sind Frauen, die als Influencerinnen arbeiten, die ihre Aufgabe darin sehen, für ihren Freund zuhause zu bleiben, sich sexuell attraktiv zu halten und ihm den Haushalt schön zu machen. Davon handeln dann auch ihre Stories und Kanäle. Ich empfinde das als gefährlichen Backlash. Während viele der Jungs Computerspiele spielen, halten sich die Mädchen auf Instagram, TikTok und anderen Plattformen auf, in denen es natürlich auch um Selbstdarstellung und Aussehen geht. In meinen Gesprächen mit den jungen Frauen am Deutschen Theater hatten schon einige von Ausstiegsphasen und Wiedereinstiegsphasen berichtet, weil sie das Medium so depressiv und abhängig gemacht hatte. Sie sprachen über Instagram wie über eine Droge. Außerdem beobachte ich mit Sorge, wenn die Blasenbildung im Internet dazu führt, dass sich die Einzelnen in ihrer politischen Auseinandersetzung immer nur mit den Inhalten beschäftigen, die ihnen der Algorithmus in Rückkopplung ihrer eigenen Suchbewegungen nach oben spült.

Gleichzeitig sehe ich natürlich auch Vorteile der Digitalisierung; auch deswegen war es mir wichtig, eine geflüchtete ukrainische Schauspielerin in der Stückentwicklung und auf der Bühne dabei zu haben, die alleine dadurch, dass sie unseren Blick auf die hochdigitalisierte Verwaltung des ukrainischen Staats lenkt und uns damit begreifbar macht, warum in diesem Land überhaupt noch etwas funktionieren kann, schon eine völlig andere Perspektive einbringt. Auch ihr Blick auf soziale Medien in dieser Extremsituation hat mich sehr interessiert. Ebenso war der jeweils sehr unterschiedliche Blick der beteiligten Rentnerinnen aufschlussreich."   

3.Daddeln oder face-to-face? Wie stehen Sie persönlich zu sozialen Medien?

Vanessa Stern: "Ich halte mich momentan von ihnen fern, weil sie mir nicht gut tun. Vielleicht brauche ich sie eines Tages, dann werde ich neu darüber nachdenken müssen. Bis dahin wünsche ich dezentralen, nicht von Unternehmensinteressen geleiteten Plattformen wie Mastodon alles Gute."

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

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