19. August 2021 | Bildung | Impulsgespräche

Sabine Schieweck-Krenitz

Sabine Schieweck-Krenitz leitet das Projekt "Naturerfahrungen für Familien". Warum die Natur gerade für Familien mit jungen Kindern ein gesundes Aufwachsen fördern kann, erklärt sie im Interview.

HHD Stiftung: Seit wann spielt die Natur in Ihrem Leben und/oder Ihrer Arbeit eine Rolle und warum?

Sabine Schieweck-Krenitz: Ich bin Sozialpädagogin und arbeite seit der IGA im Jahr 2017, also mittlerweile seit 5 Jahren, im Rahmen des Projektes „Naturerfahrungen für Familien aus Marzahn-Hellersdorf“ eng mit der Heinz und Heide Dürr Stiftung zusammen. Das gesunde Aufwachsen von Kindern und die Begleitung von Familien bei deren Alltagsbewältigung sind mir Herzenssache. Die Natur hat allerdings viel, viel früher schon einen festen Platz in einem Leben eingenommen. Während meiner Kindheit habe ich in Rostock gelebt. Mit meinen Eltern und Geschwistern war ich, wann immer möglich, draußen. Lange Strandspaziergänge, Wanderungen zum „Schweizer Wald“, durch den Rosengarten und um den Schwanenteich herum, waren feste Sonntagsrituale. Während der Touren gab es immer viel zu entdecken, alle waren zusammen, keiner mit der Arbeit oder Schulaufgaben beschäftigt und die gemeinsame „Draußenzeit“ war unser Ort zum Reden.

HHD Stiftung: Was ist Ihrer Meinung nach eine der größten Herausforderungen für Familien in den letzten 10 Jahren?

Sabine Schieweck-Krenitz: Der Alltag von Familien wurde in den letzten Jahren von immer größeren Herausforderungen geprägt. Die Struktur von Familien hat sich enorm gewandelt. Alleinerziehende Eltern und Patchwork Familien sind zu signifikanten Größen geworden. Zur gelingenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf mangelt es häufig an passgenauen Angeboten bzgl. Kinderbetreuung, Wohnortnähe, Arbeitszeitgestaltung. Viele technische Errungenschaften haben „Nebenwirkungen“ wie z.B. permanente Erreichbarkeit, hohe Medienpräsens und gravierendes Abhängigkeitspotential, welche die Familienabläufe sehr stark beeinflussen. Soziale Ungleichheiten, permanente finanzielle Sorgen und fehlende Chancengleichheit in Gesundheitsfragen, in Schule, Ausbildung und Bildung insgesamt, bedeuten für immer mehr Familien an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Kinder müssen immer früher „funktionieren“, in die Abläufe der Erwachsenen passen und haben, zumindest in meiner Erfahrung, immer weniger gesellschaftliche Lobby.

HHD Stiftung: Wie können Eltern auch im Alltag lernen, die Schätze ihrer Kinder besser zu sehen?

Sabine Schieweck-Krenitz: Ich denke Eltern brauchen viel mehr gesellschaftliche Anerkennung für diesen „Zweitjob“, den sie alltäglich zu bewältigen haben. Ein großes Potential sehe ich auch in Projekten für Familien, die den Austausch zwischen Eltern befördern und das gemeinsame Agieren von Kindern und Eltern möglich machen. Eltern, deren Gedanken und Sorgen sich ständig nur um elementares Versorgen der Kinder mit Nahrung, Kleidung, Sicherung von Wohnraum usw. drehen, bleibt wenig Muße, das Wachsen der Jüngsten bewusst zu erleben. Vorgegebene Normen und Erwartungshaltungen im Sinne von: „Ihr Kind ist … Jahre alt, es musst doch schon… laufen können…“ machen einfach nur Druck und verbauen den Blick auf das Wunderbare, das Individuelle, das Einzigartige jedes einzelnen Kindes. Aus meiner Erfahrung braucht es Zeit und Rituale, die im Alltag einer Familie eingeplant werden, genauso wie Zähneputzen, Arbeit und Haushalt. Es braucht eine gesellschaftliche Sensibilität, die den Familien allen denkbaren Respekt entgegenbringt, für mehr Öffentlichkeit sorgt und Ressourcen zur Verfügung stellt, um das gesunde Aufwachsen von Kindern und die Stärkung erzieherischen Kompetenzen der Mütter und Väter möglich zu machen.

Vielen Dank für das Gespräch.