Weil Digitalisierung und Ethik eine spannende Mischung sind, beantwortet uns Dr. Martin von Brook, Vorsitzender des Vorstands des Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik e.V., ganz persönlich drei Fragen zu dem Thema ...

1. Bringt die Digitalisierung die Ethik-Frage durcheinander? Und wenn ja warum?

Martin von Brook: "Nein, ganz im Gegenteil. Immer mehr Kommissionen und Projekte befassen sich ja gerade mit der Frage, wie wir die digitale Transformation gestalten sollen. Dabei werden an konkreten Beispielen – etwa der Idee des autonomen Fahrens – zunehmend die Grenzen automatisierter Entscheidungsprozesse sichtbar. Denn es kommen Fragen auf, die sich einer einfachen „richtig-falsch“-Logik entziehen. Algorithmen können aber nur in solchen binären Codes arbeiten. Dafür benötigen sie klar definierte Entscheidungsprämissen. Über jene Prämissen müssen letztlich die Menschen entscheiden, und das erfordert nachvollziehbare Aushandlungsprozesse: Welche Entscheidungsspielräume gewähren wir automatisierten Prozessen? Wie organisieren wir Verantwortung im Zusammenspiel von Mensch und Maschine? Und wie gewährleisten wir Fairness und vermeiden Diskriminierung? Diese Fragen sind nicht neu. Deshalb brauchen wir auch keine neue „Digitale Ethik“, wie bisweilen gefordert wird. Stattdessen sollten wir bewährte ethische Prinzipien als Leitplanken für die Gestaltung der Digitalisierung nutzen."

2. Haben Sie einen Praxistipp, wie man ethischen Herausforderungen begegnen kann?

Martin von Brook: "Zunächst einmal kommt es darauf an, ethische Herausforderungen der Digitalisierung überhaupt zu erkennen und ernst zu nehmen. In vielen Diskussionen stehen Effizienz und Optimierung im Mittelpunkt; bisweilen entsteht der Eindruck, dass ethische Fragen eher als „lästige Restriktion“ oder gar „fortschrittshinderlich“ angesehen und deshalb lieber ausgeblendet werden. Dagegen zeigt die Erfahrung, dass der Erfolg von neuen Technologien maßgeblich von der Klärung ethischer Fragen abhängt. Gerade für Unternehmen als treibende Kräfte der Digitalisierung lautet der Tipp daher: Investiere in die Verständlichkeit und Akzeptanz digitaler Transformationsprozesse. Dazu reicht es nicht aus, lediglich die eigenen Prämissen und Werte offen zu legen. Vielmehr muss erkennbar werden, wie jene Werte in der eigenen Praxis zur Geltung kommen. Das lässt sich an ganz konkreten Fragen festmachen, etwa: Welche Anstrengungen unternehme ich, um Entwickler und Programmierer für das Thema zu sensibilisieren? Welche Möglichkeiten räume ich meinen Kunden ein, ihre übermittelten Daten zu kontrollieren? In welchem Umfang nutze ich Algorithmen, etwa im Personalwesen, und wo ziehe ich die Grenze? Wie agiere ich in Ländern mit problematischen Datenschutz-Standards?"

3. Wie wichtig schätzen Sie das Thema Ethik in Bezug auf Digitalisierung auf einer Skala von 1-10 ein und warum?

Martin von Brook: "Mindestens 9. Denn es geht um tiefgreifende Veränderungsprozesse, die sich gleichzeitig und umfassend auf die politischen und wirtschaftlichen Systeme wie auch das gesellschaftliche Miteinander auswirken. Insofern greifen Vergleiche mit der Einführung der Eisenbahn oder des Automobils deutlich zu kurz. Das Kernproblem ist folgendes: Wir sind bereits mitten im Spiel, ohne dass wir uns hinreichend über geeignete Regeln verständigt hätten. Die Innovatoren schaffen in rasantem Tempo Fakten, die Regulatoren kommen kaum hinterher und die Nutzer digitaler Angebote überblicken die damit einhergehenden langfristigen Folgen nicht. Das kann zu einer riskanten „Wenn-wir-nicht-mitmachen-sind-wir-draußen“-Spirale führen. So wird ja des Öfteren auf Chinas ambitionierte Digitalpolitik verwiesen. Zweifellos dürfen wird den Anschluss im globalen Wettbewerb nicht verlieren. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir dafür unsere Werte – allen voran die Würde des Menschen, Freiheit, Selbstbestimmung und Vielfalt – preisgeben. Denn letztlich sind Fortschritt und Wettbewerb keine Zwecke an sich. Sie müssen sich immer wieder neu am Wohl der Menschen legitimieren."

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

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