6. Oktober 2025 Kultur

Das weite Theater: Die Flaschenpost

Es war einmal eine große Stadt, in der lebten zwei Kinder (...). Die Stadt bestand aus zwei Hälften. Die eine lag nach Osten hin, die andere nach Westen. (...) Die Stadt hieß Berlin.

Klaus Kordon, Die Flaschenpost

Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit am 3. Oktober bringt Das Weite Theater „Die Flaschenpost” von Klaus Kordon auf die Bühne und lädt damit Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren ein, sich ein Bild von der deutsch-deutschen Geschichte in ihrer Stadt zu machen. 

Für den Autor hat die ehemalige Grenze, die durch Berlin verlief, einen ganz persönlichen Bezug. Klaus Kordon unternahm 1972 sogar einen Fluchtversuch über Bulgarien in den Westen. Dabei wurde er festgenommen und in die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen eingeliefert. Auch seine Frau war in Haft, seine Kinder kamen ins Kinderheim. Laut Kordon selbst überlebte er die fünfmonatige Haft nur dadurch, dass er sich Geschichten ausdachte. Er wurde 1973 von der Bundesrepublik Deutschland freigekauft.

Sein Kinder- und Jugendroman „Die Flaschenpost” handelt vom Berlin der 1980er Jahre. Darin lebt der zwölfjährige Matze aus Ostberlin, der eine Flaschenpost in die Spree wirft, durch die er die Völkerverständigung*) vorantreiben möchte. Er schreibt seine Botschaft sicherheitshalber in deutsch, englisch und russisch. Doch statt wie erhofft in der Südsee landet seine Flasche in Westberlin, wo Lika sie aus der Spree fischt. Eine Brieffreundschaft beginnt, die beiden Eltern nicht behagt. Matze und Lika sind jedoch fest entschlossen, sich zu treffen, und räumen dafür alle Hindernisse aus dem Weg. Das Buch wurde 1988 veröffentlicht. Ein Jahr vor dem Mauerfall. Er handelt von einer Stadt, in der noch heute die Spuren der deutsch-deutschen Teilung sichtbar sind. Und von echten Mauern und von denen in unseren Köpfen.

*) Im Jahr 1968 tritt die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft. In Art. 6, Ziff. 1, Satz 2: „Die DDR betreibt eine dem Sozialismus und dem Frieden, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik.”

Der folgende Dialog aus dem Buch zeigt, warum Erinnerungskultur so wichtig ist:

„Lernt ihr denn nichts in der Schule darüber?”

„Ne, fast gar nichts. Und wenn, dann nur Schlechtes.“

Obwohl es auf den verschiedenen Bildungsservern und digitalen Plattformen Arbeitsblätter und Filme für den Unterricht in Grundschulen gibt, haben zwei der befragten Kinder, die die 3. bzw. 4. Klasse auf unterschiedlichen Berliner Grundschulen besuchen, noch nichts von der Teilung Deutschlands gehört. Umso wichtiger war es, dass auf der Bühne eine große Karte von Berlin zu sehen war, die während des gesamten Stücks zeigte, wo die Mauer verlief und welche Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg welche Teile der Stadt Berlin für sich aufgeteilt hatten. 

Die Heinz und Heide Dürr Stiftung fördert diese innovativen Formen der Vergegenwärtigung der Vergangenheit, um dem Vergessen entgegenzuwirken. Das Stück „Die Flaschenpost” für Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren tut dies auf innovative und integrierende Art und Weise in einer Sprache, die Geschichte gegenwärtig werden lässt.

Das Stück endet so, wie es Klaus Kordon 1988 noch nicht voraussehen konnte: mit dem Mauerfall. Dies wird durch einen David-Hasselhof-imitierenden Matze illustriert, der auf der Berliner Mauer sitzend „I've Been Looking for Freedom” singt, während seine Beine im Rhythmus ausgelassen wippen...

Regie: Tilla Kratochwil
Spiel: Christine Müller, Björn Langhans
Puppen: Barbara und Günter Weinhold

Das Weite Theater in Lichtenberg ist seit 32 Jahren für sein professionelles Puppen- und Schauspiel bekannt. Das Ensemble zeigt seine Inszenierungen auf Bühnen in ganz Deutschland und ist zu Gast auf internationalen Festivals.

Leseprobe aus Klaus Kordon, Die Flaschenpost, ISBN 978-3-407-78378-3, ©1999 Gulliver in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel

Ähnliche Beiträge

  • Deutsch-Jüdisches Theater: Der Dibbuk

  • Deutsch-Jüdisches Theater

  • Stiftung Exilmuseum Berlin

  • Berliner Recherchekollektiv Vajswerk