Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die zu einem Abbau derjenigen Nervenzellen führt, die für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, nicht heilbar ist und in der Regel binnen weniger Jahre zum Tod führt. Wie bei anderen seltenen Erkrankungen stehen den Betroffenen oft nur wenige oder gar keine Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Forschungsprojekte wie das von David Brenner und seinem Team wollen das ändern...

Scheint es nur so, oder ist ALS erst seit kurzer Zeit im Bewusstsein der Öffentlichkeit bzw. in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen? Und wenn ja, was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?

David Brenner: "Insbesondere durch die Ice Bucket Challenge im Jahr Sommer 2014 hat die ALS medial vermehrt Aufmerksamkeit erfahren. Der klinisch durchschlagende Erfolg genspezifischer Therapien für zwei genetische Motoneuronerkrankungen (SMA und SOD1-ALS) hat ebenfalls für Medienecho gesorgt. Für weitere genetische ALS-Formen (FUS-ALS, C9orf72-ALS) gibt es vielversprechende Therapieansätze, die gerade in klinischen Studien getestet werden und bereits in verschiedenen Printmedien diskutiert wurden. Genetischen Motoneuronerkrankungen kommt damit bezüglich genspezifischer Therapien eine Vorreiterrolle für andere neurodegenerative Erkrankungen zu."

Sollte sich Ihre Hypothese bestätigen und sollte auch die dann folgende explorative klinische Studie Erfolg haben, was wäre das beste Ergebnis für an TBK1-ALS Erkrankte, mit dem zu rechnen ist? Ist Heilung möglich oder steht die Verlängerung der Lebenszeit bzw. eine Symptomlinderung im Vordergrund?

David Brenner: "Eine Heilung von TBK1-ALS wäre sicherlich allenfalls durch eine vollständige Korrektur des Gendefektes auf DNA-Ebene denkbar. Diese müsste jedoch höchstwahrscheinlich bereits vor Ausbruch der Erkrankung erfolgen, um die pathologischen Prozesse wirklich zu stoppen. Von solchen Therapien sind wir aktuell noch einige Jahre entfernt.

Eine Therapie mit Beta-Interferon könnte bestenfalls eine Verlangsamung des Krankheitsfortschritt und damit ein verlängertes Überleben bewirken, da es sich nicht um einen kausalen Behandlungsansatz handelt. Andere genetische ALS-Formen zeigen im Krankheitsverlauf eine symptomatische Hochregulation des Interferon Typ 1-Signalwegs, was als schädlich eingestuft wird. In Zusammenarbeit mit der Uniklinik Rostock werden wir daher zunächst die Blutspiegel von RNA-Transkripten des Interferon Typ 1-Signalwegs I bei Patient*innen mit TBK1-ALS messen, um zu verstehen wie sich der Interferon Typ 1-Signalweg im Krankheitsverlauf bei TBK1-ALS verhält: Ist der Signalweg durchgehend insuffizient und könnte eine Behandlung mit Beta-Interferon also in jedem Stadium sinnvoll sein. Oder gibt nur ein limitiertes Zeitfenster für eine Behandlung damit."

Gilt ALS als eine seltene Erkrankung und hat diese Klassifizierung Einfluss auf Fördergelder und Zuschüsse in der Erforschung von Krankheitsbildern? Wenn ja, können Sie vielleicht einen Vergleich mit einer verbreiteteren neurologischen Erkrankung wie z.B. Formen von Demenz ziehen?

David Brenner: "In der Tat, mit einer Prävalenz von 3-5/100.000 zählt ALS zu den seltenen Erkrankungen. Familiäre bzw. genetischen Formen der Erkrankung sind natürlich noch einmal deutlich seltener. ALS ist dabei vor allem selten, da die Erkrankung nach Ausbruch so rasch zum Versterben führt. So ist die Anzahl an Neuerkrankungen pro Jahr kaum geringer als die der Multiplen Sklerose, die durch die wirksame Therapien in den letzten Jahrzehnten zu einer gut behandelbaren Erkrankung mit nur noch selten verkürzter Lebenszeit geworden ist und dadurch keine seltene Erkrankung ist. Wenn es also eine wirksam lebensverlängernde Therapie für ALS gäbe, wäre ALS keine seltene Erkrankung mehr.

Es gibt immer wieder spezielle nationale oder internationale Ausschreibungen für Forschungsgelder für seltene Erkrankungen. Da es davon so viele gibt, sind diese trotzdem sehr kompetitiv. Mittlerweile gibt es auch einige europäische und US-amerikanische Stiftungen speziell für ALS, bei denen die Chance auf Forschungsförderung etwas höher sind. Bei häufigeren neurologischen Erkrankungen ist auch die Anzahl an Wissenschaftlern, die daran forschen, und damit der Wettbewerb um Drittmittel höher, sodass die Häufigkeit einer Erkrankung nicht unbedingt einen Vorteil bei der Drittmitteleinwerbung darstellt."

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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