Prof. Dr. rer. nat. Beate Niesler ist molekulare Humangenetikerin mit den Schwerpunkten Genetik und Epigenetik neurogastroenterologischer Erkrankungen am Uniklinikum Heidelberg. Ihr Team fokussiert auf die entwicklungsbiologische Störung des Darmnervensystems Morbus Hirschsprung. Ein Forschungsprojekt, das wir mitfördern. Darüber hinaus haben sie das Reizdarmsyndrom und chronisch entzündliche Darmerkrankungen und damit einhergehende neuropsychiatrischer Erkrankungen im Visier. Neben Molekular- und Zellbiologie kommen insbesondere in vitro Systeme und Zellkulturmodelle zum Einsatz. In Zeiten von Corona haben wir die Gunst der Stunde genutzt und die Forschungsexpertin ein wenig zum aktuellen Geschehen "ausgefragt"...

1. Viele fragen sich: Warum dauert das mit dem Corona-Impfen solange? Können Sie das in einfachen Worten erklären?

Prof. Dr. rer. nat. Beate Niesler: "Eine Impfstoffentwicklung ist generell langwierig und zeitintensiv. Erstmals wurden nun gentechnische Impfstoffe (mRNA oder DNA Vektorimpfstoffe) für eine Infektionskrankheit in der Humanmedizin etabliert. Diese kodieren die Information für das Immunogen (Spikeprotein) und programmieren die Zellen der geimpften Menschen um, damit sie dieses selbst produzieren. Die Entwicklung der Corona-Impfstoffe wurde aufgrund der weltweit pandemischen Lage in noch nie da gewesenem Masse priorisiert und im teleskopierten Verfahren in Rekordzeit vorangetrieben. Dem ist geschuldet, dass nun zunächst über die Europäische Arzneimittelbehörde auch nur eine vorläufige Zulassung erfolgte. Dies bedeutet, dass alle in den nun durchgeführten Impfungen auftretenden Nebenwirkungen engmaschig überwacht werden müssen und meldepflichtig sind, da weiterhin Daten gesammelt werden. Entsprechend zögerlich und besorgt sind viele Menschen, da Langezeitdaten und Daten zu seltenen/extrem seltenen Nebenwirkungen fehlen. Aktuell häuften sich die Befunde von Thrombosen, was zum Aussetzen des Impfens mit dem Impfstoff von AstraZeneca führte. Die Wirksamkeit der Impfstoffe bzgl. des Schutzes nach SARS-Cov2 Infektion vor einer symptomatischen COVID Erkrankungen ist sehr gut und liegt je nach Impfstoff bei ca. 80-95 %. Inwieweit jedoch eine Ansteckung anderer verhindert werden kann, ob also eine sterile Immunität vorliegt, ist noch fraglich. Des Weiteren traten in der letzten Zeit neue Mutanten des Virus auf. Bei den meisten Impfstoffen muss nach der ersten Impfung nach 4-12 Wochen ein zweites Mal geimpft werden. Wird die Infektionskette nicht unterbrochen und immer wieder neue Mutanten treten auf, wäre denkbar, dass ähnlich wie bei Grippe saisonal immer wieder geimpft werden muss. Die Impfkampagne in Deutschland läuft bekanntlich erst seit Ende Dezember 2020 und es fehlt auch noch an vielen Impfdosen. Dies stellt das Land vor große logistische Herausforderungen: Priorisierungen müssen eingehalten werden, alle die das Impfangebot annehmen, müssen zeitversetzt zweimal geimpft werden und die Impfstoffe adäquat gelagert und alternativ verimpft werden, sollten Impfdosen übrig sein. Ob und wie lange das Impfen also dauern wird, kann man meines Erachtens zum gegenwärtigen Zeitpunkt also tatsächlich noch gar nicht sagen."

2. Was machen die anderen Forschungsfelder, wenn die Welt „nur“ auf Corona schaut?

Prof. Dr. rer. nat. Beate Niesler: "Wir und auch unsere Kolleg*innen weltweit bemühen uns weiterhin bestmöglich, die Forschung auf unseren Gebieten so gut es geht unter den vielerorts erschwerten Bedingungen voranzutreiben. Durch die coronabedingten Bestimmungen und Auflagen in den Kliniken wurde unsere Forschung beispielsweise in den Zeiten der Lock Downs in vielerlei Hinsicht ausgebremst. Wir sind auf Frischmaterial aus dem OP angewiesen und entsprechende operative Eingriffe in den Kliniken mussten verschoben wurden, um Kapazitäten für die Intensivmedizin freizuhalten.  Zudem mussten die Labore zeitweise auf einen sogenannten Erhaltungsstatus heruntergefahren werden und mancherorts konnten die Labore sogar monatelang nicht betreten werden. Glück hatte, wer Studien mit entsprechender Datenlage abgeschlossen hatte, und sich dem Schreiben von Publikationen widmen zu konnte. Da unsere Forschung in den Lebenswissenschaften zum überwiegenden Teil über Drittmittel finanziert wird, haben viele aus der Not eine Tugend gemacht und die Zeit genutzt, um neue Projekte zu planen und Forschungsmittelanträge zu schreiben." 

3. In welchem Moment/Alter wussten Sie, dass Sie Forschung machen möchten? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Prof. Dr. rer. nat. Beate Niesler: "Bereits in der Grundschule schlug mein Herz für die Biologie und die Naturwissenschaften. Ich erinnere mich, im Alter von ca. 9 Jahren im Sachkundeunterricht ein Bild von mir als Urwaldforscherin gemalt zu haben, als wir uns in unserem künftigen Beruf darstellen sollten. Die Forschung wurde es dann am Ende meines Biologiestudiums tatsächlich. Meine Schwerpunkte im Studium waren Genetik, Zoologie, Humangenetik und Biochemie. Ich hatte mich ursprünglich der biochemischen Grundlagenforschung/Enzymbiochemie in Bakterien gewidmet und merkte in dieser Zeit, dass mich eine medizinisch anwendungsorientierte Forschung mit dem Bezug zum Menschen mehr interessierte. So entschloss ich mich, den Fokus künftig auf die Humangenetik zu legen. Somit schloss sich der Kreis, meine Forschung widmet sich nun allerdings nicht dem Urwald, sondern dem Dschungel des menschlichen Erbguts…"

Vielen Dank für das spannende und offene Gespräch!

> zum Projekt
> mehr Interviews ...