Die Filmemacherin und Regisseurin Anne Berrini wuchs in einer Theaterfamilie in Dessau auf, was ihr einen frühen Einblick in die Theaterwelt ermöglichte. Ihre ersten Erfahrungen in der Film- und Fernsehbranche sammelte sie zunächst als Cutterin beim Fernsehen. Seit 1994 arbeitet sie auch als Regisseurin, Autorin und Produzentin. Wir sprachen mit ihr über ihr Crossmedia-Projekt "M-A-C-H-T".

1. Frau Berrini, wegen der Corona-Pandemie mussten Sie Ihr Theaterprojekt „M-A-C-H-T“ in ein Crossmedia-Projekt umwandeln. Wie hat die Corona-Pandemie Ihrer Meinung nach das Sprechtheater verändert und hat es noch eine Zukunft?

Anne Berrini: "Ich glaube, die Corona-Pandemie hat das Sprechtheater nicht wirklich verändert. Es hat den Theaterbetrieb vielleicht verändert. Die Theater mussten lernen, digitale Möglichkeiten, wie das Streamen von Premieren, als Alternative zur Schließung zu nutzen und die Website stärker noch als Fenster zum Publikum zu gebrauchen. Doch im Gegensatz zum Kino, das seit der Pandemie über einen erheblichen Publikumsschwund zu klagen hat, sind die Menschen in die Theatersäle zurückgekehrt.

Ich hoffe allerdings, dass die Coronakrise wiederum das Filmemachen ein wenig beeinflusst hat. In den Pandemiemonaten mussten sich Filmproduktionen plötzlich beschränken auf überschaubare Filmsets, kleine Teams und wenige Schauspieler*innen. Ein Nährboden für Kammerspiele. Auf die Spitze getrieben, hat es vermutlich die Serie „Solos“ prominent besetzt u.a. mit Helen Mirren, Morgan Freeman und Anne Hathaway, die in jeder Episode eine Geschichte um eine einzelne Hauptperson in einem Raum erzählte. Ob das nun gelungen war oder nicht, daran schied sich das TV Publikum. Doch ich mag solche Erzählformen, sie erinnern mich an einen meiner Lieblingsregisseure, den Italiener Ettore Scola, der mit Filmen wie „La Famiglia“ (eine Familiensaga, die über acht Jahrzehnte ausschließlich in der großen Familienwohnung erzählt wird) oder dem Meisterwerk „Le Bal – der Tanzpalast“ ganz eigene filmkünstlerische Wege gegangen ist.

Um aber auf ihre Frage zurückzukommen, die Zukunft des Sprechtheaters wurde sicher wenig von der Pandemie beeinflusst. Das ist vielleicht vielmehr eine generelle Frage unserer Zeit. Angesichts der visuellen Überflutung, die maßgeblich auch unsere Sehgewohnheiten beeinflusst, stirbt das Theaterpublikum da weg oder wächst es noch nach?"

2. Was kann Theater und was kann Film? Welche Unterschiede sehen Sie und wie können sich beide Kunstformen ergänzen?

Anne Berrini: "Ich mag es, Schauspieler*innen zuzusehen, wenn sie in fremde Rollen schlüpfen und sich ihre Beziehung vor unserem Auge live entfaltet. Im Theater kann das magisch sein. Das war auch der Grund, warum ich die Erfahrung der Theaterarbeit, speziell der Probenarbeit machen wollte. Für diesen Prozess, bei dem zusammen mit den Schauspieler*innen die Figuren entwickelt und die Geschichte freigelegt wird, ist bei Filmarbeiten oft wenig Zeit. Außerdem fordert das Theater durch den abstrakten Bühnenraum, in dem die Welt erzählt wird, die Phantasie der zuschauenden Personen heraus.

Ich hatte schon meine Theaterinszenierung weitestgehend auf das Spiel der Darsteller*innen und ihren Dialog reduziert und konnte das nun bei der Filmadaption noch intensiver gestalten. Denn während ich beim Theater in einer frontalen weiten Einstellung die Bühne erzähle, kann ich beim Film den Blick der Betrachtenden mit Hilfe der Kamera und des Schnitts durch den Raum lenken. Ich kann die Beziehung zweier Menschen ganz wortlos durch Blicke und Gesten deuten. Das ist natürlich bei einem Kammerspiel verlockend. Denn manchmal braucht es auch in einem Film nicht mehr als zwei Schauspieler*innen in einem Raum und den Mut, den Zuschauer*innen ein wenig Phantasie zuzutrauen."

3. Was fasziniert Sie am Theater und warum haben Sie sich dennoch für eine Laufbahn im Film und Fernsehen entschieden?

Anne Berrini: "Ich bin mit Theater aufgewachsen. Meine Eltern waren Schauspieler*innen, mein Vater auch noch Regisseur und meine Stiefmutter Bühnentänzerin. Sie waren fast ihre ganze künstlerische Laufbahn am Dessauer Theater engagiert. Das war zu DDR-Zeiten nicht ungewöhnlich. An diesem Theater arbeiteten damals fast 500 Leute, viele Andersdenkende und Ausreisewillige, aber natürlich auch Linientreue. Das erzeugte eine ungewöhnliche Stimmung in meiner Kindheit und Jugendzeit – Hoffnungen und Depressionen lagen oft ganz nah beieinander.

So groß die Momente des subtilen politischen Widerstands auf der Bühne zu jener Zeit auch waren, ich wollte wohl was anderes. Filme haben mich schon sehr früh fasziniert. Ob im Kinosaal oder vor dem Fernseher, sie ließen mich durch die Zeit reisen und nahmen mich mit in die große weite Welt. Dem konnte ich beruflich wohl nicht widerstehen."

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

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