Anne Rolvering, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die den Deutschen Kitapreis mit Unterstützung der Heinz und Heide Dürr Stiftung ausrichtet, spricht über Lust auf Zukunft als Bildungsimpuls.
HHD Stiftung: Sie haben vor kurzem ein Statement zum „schmerzenden“ Wahlverhalten (Landtagswahlen & Europawahl) der Jungwähler*innen veröffentlicht. Darin beschreiben Sie unter anderem, wie wichtig es ist, Lust auf die Zukunft zu machen. Fängt das aus Ihrer Sicht schon in der frühkindlichen Bildung an und wenn ja, wie könnte das im Kita-Alltag aussehen?
Anne Rolvering: Die allermeisten Kinder tragen diese Lust auf Zukunft in sich. Insofern geht es in der frühkindlichen Bildung weniger um ein Lustmachen als vielmehr darum, die Zuversicht, die Neugierde und das positive Selbstbild von Kindern zu fördern. Und wenn wir uns die Grundbausteine guter Frühpädagogik ansehen, dann zielen diese genau darauf ab. Diese Qualitätskriterien decken sich auch mit den Wünschen der Kinder an ihre Kita. Dazu haben wir mit Professorin Iris Nentwig-Gesemann eine spannende Studie durchgeführt. Aus dieser wissen wir, dass Kinder erfahren wollen, dass sie etwas können. Oder dass sie über sich selbst bestimmen, sich ausprobieren, sich beteiligen und mitbestimmen wollen. Und dass sie eine Gemeinschaft erleben wollen, in der sie als individuelle Persönlichkeiten gesehen und anerkannt werden.
Viele dieser Aspekte gehören zum Qualitätsverständnis, das dem Deutschen Kita-Preis zugrunde liegt. In den vergangenen sechs Durchgängen haben wir deshalb bundesweit zahlreiche Kitas ausgezeichnet, die das im Alltag auf sehr beeindruckende Art und Weise umsetzen. Wir sehen aber auch, dass es hierfür keine Anleitung oder eine fertige Schablone gibt, sondern eine große Vielfalt an Ansätzen und Wegen. Einige Beispiele haben wir in unserem Inspirationsbuch zusammengetragen.
HHD Stiftung: Seit mehr als 25 Jahren fördert die Heinz und Heide Dürr Stiftung mit Early Excellence einen besonders ressourcenorientierten Ansatz frühkindlicher Bildung. Unter den Finalist*innen des Deutschen Kita-Preises sind immer wieder Einrichtungen zu finden, die nach Early Excellence arbeiten. Ist Ihnen der Ansatz bekannt und wenn ja, wo sind Sie dem Ansatz zum ersten Mal begegnet?
Anne Rolvering: Ich kenne und schätze den Early Excellence-Ansatz, weil er an den Stärken und Potenzialen von Kindern, Eltern und Fachkräften ansetzt. Diese Perspektive ist auch für unsere Stiftungsarbeit ein handlungsleitender Grundsatz und Hebel. Und das nicht nur im Sinne einer stärken-, kind- und lebensweltorientierten Pädagogik, sondern auch als eine Haltung, mit der wir den Menschen begegnen, die sich in Verwaltungen, Stiftungen, in der Politik oder in Unternehmen mit uns für gute Bildung, Teilhabe und eine lebenswerte Gesellschaft engagieren.
Ich habe den Ansatz durch meine Kinder kennen und schätzen gelernt, die beide eine Kita besucht haben, die nach dem Early Excellence-Ansatz arbeitet. Wir haben die Verbindung aus guter frühkindlicher Förderung und großartiger familiärer Begleitung als kluge Kombination sehr genossen.
Auch ist mir der Besuch beim Städtischen Familienzentrum Olgakrippe in Heilbronn im Rahmen des Deutschen Kita-Preises sehr gut in Erinnerung. Diese Einrichtung arbeitet nach dem Ansatz und hat 2022 den ersten Platz in der Kategorie „Kita des Jahres“ gewonnen. Über die Bewerbungsunterlagen und den Jurybericht kannte ich vieles bereits vom Lesen. Dann aber vor Ort zu sehen, wie offen, klug und selbstbewusst die Kinder, Eltern und Fachkräfte sind, wie wertschätzend sie miteinander umgehen und mit welcher Selbstverständlichkeit und Fröhlichkeit sie wirklich tolle Arbeit machen, war ein schönes und auch erkenntnisreiches Erleben. Bei der Gestaltung der Räume sowie bei der des Tages werden die Stärken und Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt gestellt und so entstand zum Beispiel eine wunderschöne Wohnküche, das Herzstück der Einrichtung.
HHD Stiftung: Die DKJS wurde vor 30 Jahren als Kooperationsstiftung gegründet. Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Auch die Heinz und Heide Dürr Stiftung feiert dieses Jahr ihr 25-jähriges Bestehen. In diesem Sinne möchten wir eine Frage zur Stiftungswelt stellen: Welche Aufgabe müssen/dürfen/sollen Ihrer Meinung nach Stiftungen erfüllen und welche besondere Rolle spielt dabei möglicherweise eine Kooperationsstiftung wie die Ihre?
Anne Rolvering: Bevor ich auf die Frage antworte, möchte ich zunächst den Glückwunsch zurückgeben: Die Heinz und Heide Dürr Stiftung hat in den vergangenen 25 Jahren wichtige fachliche Impulse gesetzt und zugleich sehr konkrete Veränderungen ermöglicht. Nicht ohne Grund ist der Early Excellence-Ansatz in Deutschland so eng mit dem Wirken der Stiftung verbunden. Ebenso wie die vielen Förderungen im Bereich der Kultur und der Forschung. Was ich jenseits der einzelnen Themen und Projekte besonders schätze, sind die Verbindlichkeit und Bereitschaft der Stiftung, sich langfristig, aus Überzeugung und ganz im Sinne des Stifterwillens zu engagieren.
Diese Art von Kontinuität auch in Zeiten rasanter politischer und gesellschaftlicher Veränderungen zu ermöglichen, ist für mich eine Aufgabe, die Stiftungen in besonderer Weise erfüllen können und sollten. Das bedeutet nicht, dass sie nicht auch Innovationen voranbringen oder Weiterentwicklungen befördern. Ganz im Gegenteil. Aber die Freiheit, über Legislaturen und Zuständigkeiten hinweg zu denken und gleichzeitig schnell, lösungs- und wirkungsorientiert zu handeln, macht für mich die Arbeit von Stiftungen aus. Dieser gemeinsame Anspruch ist bei aller Unterschiedlichkeit auch die Grundlage für das produktive Zusammenwirken von Förderstiftungen, wie der Heinz und Heide Dürr Stiftung, und operativen Stiftungen, wie der DKJS. Denn Kooperation bedeutet für uns, dass alle Beteiligten ihre besonderen Stärken einbringen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen und die Zukunft zu gestalten – ganz im Sinne des Early Excellence-Ansatzes.
Vielen Dank für das Gespräch.