Als künstlerische Leitung des theaterfoum kreuzberg inszeniert die Schauspielerin und Regisseurin Anemone Poland Stücke von Autoren, die man in Deutschland kaum kennt oder die zu Unrecht vergessen sind. Das wirft interessante Fragen auf, wie wir finden, die uns Anemone Poland in unserem Kurz-Interview beantwortet.

1. Wie kommt es, dass Autoren oder Stücke vergessen werden?

Anemone Poland: "Da kann ich nur Vermutungen anstellen. Neue Stücke werden häufig gespielt, weil sie in die Zeit passen, weil sie gerade „in“ sind. Nach der Erstaufführung folgen dann noch zwei bis drei Aufführungsserien, aber bald darauf sind sie abgespielt und verschwinden von den Spielplänen. Manche Stücke spiegelten die gesellschaftliche Situation und wurden dann von der Entwicklung überholt. Es kamen neue Stücke, die besser in die Zeit passten.
Die großen und berühmten Dramatiker der Klassik und der Antike werden immer gespielt. Aber viele Dichter konnten sich nicht durchsetzen. Extrem ist es bei Ludwig Tieck. Sein Schauspiel „Die verkehrte Welt“ wurde erst 165 Jahre nach seinem Entstehen uraufgeführt. Vielleicht war der Publikumsgeschmack, der seinerzeit die Rührstücke von Kotzebue und Iffland bevorzugte, der Grund. Aber warum es so lange bis zur ersten Aufführung gedauert hat, ist mir unerklärlich. Dabei ist das Stück, in dem der Narr nach der Macht greift und regiert, immer noch aktuell.
Andere Autoren, die ich inszeniert habe, z.B. Vitrac oder Schehadé waren in Deutschland gar nicht bekannt, die Übersetzungen hölzern. Dabei sind es wunderbare Stücke mit einer poetisch-realistischen Sprache, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben."

2. Wo graben Sie die Autoren und Stücke aus?

Anemone Poland: "Mich interessieren die Zeiten, in denen das Theater neue Impulse zur Veränderung erfuhr, z.B. das sog. ‚absurde Theater‘. Ich lese gern, nicht nur Stücke. Oft stoße ich dann auf Querverweise, Berichte, Briefe. Von Georges Schehadé hatte ich gelesen, dass er eng mit Jean Louis Barrault befreundet war. Barrault hatte in Paris viele Stücke seines Freundes uraufgeführt. Das machte mich neugierig." 

3. Was könnte von heute bis ins Jahre 2050 an Stücken oder Autoren vergessen worden sein und warum?

Anemone Poland: "Ich hoffe, dass wie in einem großen Fundus sich viele Autoren, die alten und die zeitgenössischen, die berühmten und die unbekannten, versammeln, um zur passenden Zeit (wieder-) entdeckt zu werden. Der Verlust an Sprachkompetenz und das schwindende Verständnis für das geschriebene Wort werden das hoffentlich nicht verhindern."

Vielen Dank für das spannende Gespräch!

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