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Können Menschen die Welt alleine retten?

In dem Gastspiel “Hänsel & Greta & The Big Bad Witch” der Bühnen Bern treffen die Protagonist*innen Hänsel und Greta auf die Big Bad Witch. In 13 Übungen wollen sie die Welt. Doch können Menschen allein überhaupt noch was ausrichten? Ein Gastspiel von Autor*in Kim de l’Horizon bei den Autor*innentheatertagen am Deutschen Theater Berlin. 

Perspektivenwechsel: Wenn Bäume, Pilze, Flechten von der Katastrophe erzählen…

Ein Baum betritt die Bühne, agiert mit dem Publikum, erzählt von der Großmutter, von einer anderen Welt. Eine Welt, die so nicht mehr existiert. Er war schon alt, als die Welt schlecht wurde…

Die einst so wichtige Symbiose der Steinflechte und der Pilze hat keine Substanz mehr, und somit auch nicht die so wichtige Lungenflechte. Der Garant und letzte Hoffnungsschimmer für das Leben der Erde und Menschen.

Mittlerweile haben die Menschen ihre Umwelt zerstört. Mit den Anbau der Optimierungsdroge Vitalin, werden sie schneller, besser, leistungsfähiger: Den Yoga-Kurs noch vor den 8 Stunden-Arbeitstag takten und trotzdem noch rechtzeitig, die Kinder vom Kindergarten holen.

Hänsel und Greta entfliehen dieser patriarchalen, optimierungsgesteuerten Welt…

Der sensible Hänsel und die willensstarke Greta haben genug davon. Genug von den vitalinabhängigen Eltern, die so jeder gesellschaftlichen Norm entsprechen. Eindeutig kann diese Norm nichts Gutes heißen. Die Welt ist dahin.

Greta ist wild entschlossen dem entgegenzutreten. Die Welt muss noch zu retten sein. Der dünnhäutige Hänsel ist unsicher, folgt aber seiner geliebten Schwester und begleitet sie in den Nachtclub-artigen Wald.

The Big Bad Witch, die eigentlich ein Schwan war und ein Mistkäfer sein wollte.

Sie treffen auf die Big Bad Witch, die eher “bad ass” als wirklich “bad” ist. In hohen schwarzen Plateaus, Glitzerfummel und rauchend mit Räucherstäbchen hat sie ihren Auftritt. Sie entspricht so gar nicht der bösen Hexe à la Brüder Grimm.

Viel eher ist sie ein magisches Wesen mit vielen Facetten, nicht böse, nicht gut. Sie passt in kein Klischee, in keine Vorstellung, in kein Bild. Sie erzählt ihre Geschichte, einst als Schwan aufgewachsen, wollte sie doch lieber ein Mistkäfer sein. Doch das Mistkäfer-Dasein wurde bedroht, denn der Mist der Menschen verändert sich, ließ ein Mistkäfer Leben nicht mehr zu.

13 Übungen, die Welt zu retten: Von Banden bilden, Dingen zu zuhören, Willkommen heißen bis hin zum Dornröschenschlaf!

Die Hexe zeigt den beiden Geschwistern 13 Übungen, die Welt zu retten. Doch so richtig klappen will keine der Übungen. Vielleicht weil es nicht nur zwei Menschen dafür braucht, sondern alle Spezies?

Greta mit ihren sehr starken Charakter, auf sich selbst und die Menschen fixiert, glaubt nicht so recht an den Hokuspokus der Hexe.

Hänsel dagegen öffnet sich mehr den anderen Stimmen und Perspektiven der Monokulturen und Lebewesen. Er scheint zunehmend mehr in eine Symbiose mit ihnen zu fallen.

“Je higher die Heels, desto geiler die Feels”

Kim de l’Horizon

Der Höhepunkt des Stückes ist ein Rave: In dem alle, Hänsel, Greta, Hexe und andere Spezies die “Entmenschelung” und “das Dasein” an sich feiern.

Nimm dich selbst nicht so wichtig, sieh das große Ganze und lass andere Perspektiven zu.

Doch vor allem: Verliere nie den Spaß!

Ein lyrischer Rave geschmückt mit Allegorien, der “zum Faden verlieren” einlädt.

Ein Stück, das glitzert und schillert – und ganz nebenbei uns den eigenen Spiegel vorhält.

Ein Stück über die Klimakatstrophe ohne das Wort Klima zu verwenden. Bewusst verzichtet Autor*in Kim de l’Horizon darauf. Zu aufgeladen sei der Begriff, ein regelrechter Streitbegriff.

Stehe die Welt auch vor anderen Herausforderungen. Das Stück zeige eine magische Katastrophe, die sich auf alle Probleme dieser Welt münzen lassen kann.

Der Mensch ist nicht Maß aller Dinge.

Das Stück ist im Rahmen der Hausautor*innenschaft von Kim de l’Horizon am Schauspiel Bern entstanden. Es ist der erste Teil von de l’Horizons Septologie des Posthumanistischen Theaters.

Die Idee des Posthumanistischen Theaters kommt aus dem Queer-Feminismus und besagt, die Zentriertheit auf den Menschen aufzulösen. Um ein Leben auf dieser Welt zu ermöglichen und Katastrophen zu verhindern, müssen alle Spezies berücksichtigt werden.

Das Stück sieht Kim de l’Horizon als Einladung an alle Lebewesen die Welt zu retten.

Es gibt nicht nur den einen Weg…

In dem Stück wird deutlich, dass Hänsel und Greta zwei Wege bzw. Herangehensweisen symbolisieren, um diese Welt zu retten.

Greta, mit ihrem starken, durchsetzungsfähigen und zu sturen Wesen, ist zu sehr auf das menschliche Subjekt konzentriert. Sie will die Welt retten, koste es was es wolle und wenn es sein muss auch alleine. Damit steht sie für den Weg, den die Menschheit bereits versucht zu gehen.

Dagegen ist Hänsel sensibel, fein und durchlässig. Er saugt alles förmlich in sich ein und lässt sich auf andere Perspektiven ein. Er geht auf die anderen Monokulturen ein und geht schließlich selbst eine Symbiose mit ihnen ein. Seine Figur symbolisiert den Weg, der alle Lebewesen mit einschließt.

Revolution muss auch Spaß machen!

Trotz des ernsten und gesellschaftskritischen Themas, verliert das Stück nicht Spiel- und Sprachwitzes. Gleichzeitig werden die drängenden Gegenwartsfragen nicht zu beliebig, trotz der bildreichen und allegorischen Anspielungen.

Zurecht verlieh die Hermann Sudermann Stiftung, in Kooperation mit dem Deutschen Theater Berlin, Kim de l’Horizon am fünften Mai 2023 den Hermann Sudermann Preis für dieses Theaterstück.

Ganz im Sinne der eigenen Wertevorstellungen verzichtet Kim auf das Preisgeld und stiftet es an die/den nächsten Gewinner*in.

Foto: © Yoshiko Kusano

Das Theater der Zukunft! Hier erfahren Sie mehr zum Theaterstück:

> Das Gastspiel beim Deutschen Theater Berlin

> Trailer der Bühnen Bern zu “Hänsel & Greta & The big bad witch”

> Kim de l’Horizon erhält den Hermann Sudermann Preis 2023 

(Autorin: Valerie Pagel)