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Abschied vom Projekt Naturerfahrungen

Wenn das nicht mal ein feuchtes und fröhliches Unterfangen war! Mit viel Regen und Spaß ging das Projekt Naturerfahrung aus Berlin Marzahn-Hellersdorf zu Ende. Um das Projekt gebührend zum Abschluss zu bringen, machten sich die Kinder, 32 Mütter, Väter und Fachkräfte am 29. Juni 2021 auf in die Uckermark. Eine Abschlussfahrt, die sich gewaschen hat! Was Sie auf Ihrer Reise erlebten, berichtet Sabine Schieweck, ehemalige Koordinatorin für Familienförderung beim Jugendamt in Marzahn Hellersdorf, in Ihrem Erlebnisbericht!

Was bisher geschah…

Seit den Tagen der IGA 2017 gibt es in Kooperation und mit engagierter Unterstützung der Heinz und Heide Dürr Stiftung das Projekt Naturerfahrung für Familien aus Marzahn-Hellersdorf. Beteiligt waren von Beginn an Familien aus dem Elterntreff DRehKreuz in Marzahn und aus dem Familienzentrum „mIGELito“ in Hellersdorf. Im ersten Jahr ging es zunächst darum, Erfahrungsräume in der Natur im eigenen Bezirk und Kiez zu entdecken, das Können der eigenen Kinder zu erleben und gemeinsam „Draußenzeit“ zu verbringen. Begleitet von Natur- und Umweltexpert/innen wuchs das Wissen und Können der Kinder und Eltern im achtsamen Umgang mit der Natur und miteinander. Wir verließen unsere vertrauten Kieze und entdeckten angrenzende Bezirke und viele tolle Naturorte in Berlin. Dank der kontinuierlichen Begegnungen gelang es Vorurteile abzubauen und in kleinen Schritten ein Miteinander der Eltern zu entwickeln.

Unverhofft kommt (leider) oft...

2020 sollte eigentlich das Projekt mit einer mehrtägigen Fahrt seinen Abschluss finden. Corona zwang uns in Onlineformate, Einzelbegegnungen und Kleingruppenangebote. Beim letzten Treffen im Oktober 2020 dann die freudige Botschaft: „Die Gruppenreise darf 2021 stattfinden“, noch einmal stellen die Stiftung und der Bezirk die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Die Freude war unbeschreiblich!

Die Fahrt geht los!

Am 29. Juni 2021 war es endlich soweit. Mit 32 Müttern, Vätern und Fachkräften ging es per Reisebus zum Seegut „Blaue Blume“ in die Uckermark. Für die Kinder, die meist alleinerziehenden Eltern und auch für uns Fachkräfte lag ein sehr anstrengendes, von Regeln und Einschränkungen, Homeoffice und wenig Kontakten geprägtes Jahr hinter uns. Hinzukam, dass „Urlaub machen“ bei den allerwenigsten Projektteilnehmer/innen zur Alltagserfahrung gehört. Bei allen war die Aufregung also riesig. Frisch getestet oder auch schon „durchgeimpft“ ging es los. Sich wieder so ganz in echt zu begegnen, führte nicht nur bei den Kids zu „Tränen und kribbeln im Bauch“.
Fünf wundervolle Tage liegen hinter uns. Die Stimmung war einfach toll. Es herrschte eine Atmosphäre der Toleranz und des Miteinander. In berührenden Gesprächen tauschten die Eltern ihre Erfahrungen des letzten Jahres aus. Neue Gemeinsamkeiten zwischen den vermeintlich so verschiedenen Lebensläufen und Familiensituationen wurden entdeckt und führten zu größerer Achtsamkeit. Durch die Beteiligung von 6 Fachkräften (drei Natur- und Umweltexpert/innen und drei Sozialpädagoginnen) konnte sehr viel Raum für individuelle Angebote gewährleistet werden. Erstmals konnten wir auch separate Angebote für Eltern und Kinder in die Tagesstruktur implementieren und so den Kids „elternfreie Zeit“ und den Eltern „kinderfreie Zeit“ anbieten.

Aus dem Nähkästchen geplaudert…

Meine ganz besonderen „WOW-Momente“ der Fahrt: Beim Ankommen am Seegut, diesem verzaubernden Ort in mitten einer naturbelassenen Landschaft, fanden die Familien ihre Namen an den Zimmertüren vor. Das war eine so liebevolle Willkommensgeste, ein wirklicher Seelenbalsam für unsere Projektteilnehmer/ innen.
Ein Papa, der selbst nach dem Schulbesuch eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstatt aufnahm und seither so seinen Lebensunterhalt sichert, ist seit vielen Jahren alleinerziehender Vati. Seine Tochter kam mit 11 Monaten zu ihm. Er schilderte sehr berührend, dass die Aufgabe alleinerziehend von ihm nur bewältigt werden konnte, weil er Unterstützung durch die Familienhilfe erhalten hat. Als ehemalige Mitarbeiterin eines Jugendamtes war dieses Feedback ein wirklich seltener Moment, werden wir doch oft als „die Bösen“ dargestellt und wahrgenommen. Dieser Papa erklärte mir aber ganz unumwunden, ohne eine langfristige Begleitung hätte er es nicht geschafft. Nun wird seine Tochter die weiterführende Schule besuchen. Sie will ganz viel lernen, damit sie später Papas Traum erfüllen und als Erzieherin arbeiten kann. Im Camp hat sie (als älteste Teilnehmerin der Kinder) ihre Fürsorglichkeit und Liebe zu Kindern schon vielfach unter Beweis gestellt. Mich haben Vater und Tochter sehr berührt. Sie sind lebendiges Beispiel dafür, dass die wichtigste Zutat zum gesunden Aufwachsen von Kindern LIEBE ist und davon haben diese beiden jede Menge!

Für die Schatzsuche der Kinder erhielten die Eltern die Aufgabe, Briefe an ihre Töchter und Söhne zu schreiben. Diese Botschaften wurden dann mit einigen Goldmünzen in die Schatzkiste getan. Für die meisten Eltern war das erstmal eine ganz ungewohnte Aufforderung. Berührend war zu beobachten, wie die Eltern sich gegenseitig auf Stärken und Besonderheiten der Kinder aufmerksam machten, beim Formulieren halfen… Keiner konnte sich erinnern, jemals eine solche Botschaft von den eigenen Eltern erhalten zu haben, aber alle waren sich sicher, dass es für die eigenen Kinder ein besonderer Moment wird…. Der wurde es dann auch! Da noch nicht alle Kinder schon zur Schule gehen und lesen können, gab es für die Kleinen schnelle Hilfe von den Großen, einige Eltern lasen ihre Briefe selbst vor. Dieser Moment ist in meiner ganz persönliche Schatzkiste gelandet!

Mein persönliches Fazit

Seit ich als verantwortliche Koordinatorin dieses Projekt entwickelt und begleitet habe, trug ich die Vision in mir, nicht nur den Eltern Wege aufzuzeigen, wie sie ihre Kinder ohne Erwartungsdruck „sehen lernen“, sondern auch den Eltern zu vermitteln, über welche tollen Ressourcen sie selbst verfügen. Während der Schatzsuche übernahmen die Eltern eigenständig die einzelnen Stationen. Trotz viel Skepsis und Scheu ließen sich schlussendlich alle darauf ein. Bei Dauerregen kamen wir mit den Kindern an den verschiedenen Stationen an. Dann war es nur noch zauberschön, zu erleben, mit wie viel Mühe sich die Eltern zu Waldgeistern verwandelt hatten, mit welcher Geduld sie die jeweiligen Aufgaben erklärten, wie selbstverständlich sie die Grenzen des Einzelnen tolerierten, Stärken in den Fokus richteten. Oft sind es ganz kleine Gesten die uns Wachstum anzeigen. Ich durfte solche Momente erleben, ganz dicht dabei sein sein! Zu hören, wenn ein Sohn der Mama sagt: „Das hast du uns aber gut erklärt! Ich wusste genau, was wir machen sollen“; oder „Papa, du hast gar nicht gestottert. Hast du das auch gemerkt?“ … mehr geht nicht!

Nun heißt es Abschied nehmen!

Schließlich hieß es dann knapp zwei Monate später endgültig Abschied zu nehmen. Am 29. August kamen noch einmal alle Beteiligten des Familienzentrums Berlin Marzahn-Hellersdorf, der Heinz und Heide Dürr Stiftung und die Familien zusammen, um das gelungene Projekt im festlichen Rahmen zu feiern! Was für ein gelungener Abschied!

(Autorin: Sabine Schieweck)

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